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Alt 28.12.2011, 11:22
Konni, im Istrien Forum
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Fortsetzung ...
... die Geschichte Istriens

...

Auch die Sprachen waren ein Hochseilakt des Vielvölkerstaates.

Im österreichischen Küstenland war in der Statthalterei Triest, den Bezirkshauptmannschaften, Finanz- und Eisenbahnverwaltung die „innere“ Amtssprache Deutsch. Die „äußere“ Sprache richtete sich nach den Gegebenheiten der Kommunen, man sprach mehrheitlich Italienisch, im Hinterland aber auch Slawisch, Rumänisch, Albanisch und Ladinisch.
Die „lingua franca“ von Handel, Verwaltung und öffentlichem Leben war Italienisch, die k. u. k. Seebehörde in Triest und die Schifffahrtsgesellschaften verkehrten amtlich ebenfalls in italienischer Sprache, doch die Korrespondenz mit den Hafenämtern wurde in Kroatisch geführt. Die landesüblichen Sprachen Italienisch, Deutsch, Kroatisch und Slowenisch waren die Gerichtssprachen. Einen Antrag der italophonen Parlamentarier, italienisch weiterhin als einzige offizielle regionale Verwaltungssprache anzuerkennen, lehnte das österreichische Innenministerium im Revolutionsjahr 1848 ab.

1867 wurde der österreichisch-ungarische Ausgleich festgeschrieben und das Gesetz erlassen, dass allen Völkern des Reiches das Recht zugestand, die eigene Nationalität und Sprache zu pflegen.

Mit dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges änderte sich alles. Österreich und Italien standen sich an der Front gegenüber.

Italienische Bezeichnungen von Ortschaften, Straßen usw. wurden in den istrianischen Küstenstädten gegen deutsche ausgewechselt, das italienische öffentliche Leben verstummte. Die sogenannten „Reichsitaliener“ wurden aus den Städten ausgesiedelt und in innerösterreichischen Lagern interniert.

Der Kriegsmarinestützpunkt Pula wurde ab 1916 von einer Regierungsdiktatur verwaltet. Der Wirkungskreis des Festungskommandanten war über den gesamten politischen Bezirk Pula und Rovinj ausgeweitet.

Mit Ausnahme der Stadt Abbazia (wegen ihren Bekanntheitsgrad) wurden die Ortsnamen auf die kroatischen und slowenischen Benennung umgewechselt. Aus Pola wurde Pula, aus Rovigno wurde Rovinj, aus Capodistria Koper, Dignano wurde Vodnjan usw.

Aus dem Sprachenkosmos der Donaumonarchie sollte Italienisch eliminiert werden – die Spannungen stiegen. Doch Kaiser Karl I. hatten nach seinem Regierungsantritt 1916 zugunsten des historisch gewachsenen Status quo entschieden. Bis zum Ende des Krieges wurde die Sprachenfrage nicht mehr angetastet.

Istrianer definierten sich nicht ausschließlich über die Sprache – die nationale Zugehörigkeit stand nicht im Vordergrund. Über Jahrhunderte entwickelte sich eine regionale Identität zwischen der romanischen und slawischen Welt. Welche Nationalität man auch immer angehören möge – zu allererst ist man Istrianer. In Istrien werden neben Kroatisch noch italienische Dialekte gesprochen: Istrianisch, Venezianisch und Istrorumänisch – jedoch sind alle drei vom Aussterben bedroht.

1918 kam Istrien, nach dem Zerfall der Monarchie zum Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen. Erstmals war damit – theoretisch - das slawische Istrien mit Kroatien und Slowenien vereint.

In den Häfen lagen italienische Kriegsschiffe und Istrien wurde von Italien besetzt und 1920 nach dem Vertrag von Rapollo auch de jure dem Königreich Italien zugesprochen – die Halbinsel von Triest bis Rijeka war italienisch geworden und wurde italienisiert. Auch der Schulunterricht erfolgte nur noch in italienischer Sprache, alle kroatischen Vereine und Kultureinrichtungen wurden aufgelöst, Namen wurden italienisiert – alles war geprägt von Unruhen.

Es wurde von italienischer Seite wenig investiert und die Infrastruktur geschwächt. Mussolini ließ die Bahn von Triest nach Poreč abbauen, um den Stahl in Abessinien (Äthiopien) einzusetzen, die Faschisten übernahmen 1922 die Macht.

Eine Sonderstellung in der Geschichte nimmt die Stadt Rijeka (Fiume) ein.

Der einstige Freihafen der ungarischen Reichshälfte wurde zum faschistischen Versuchsmodell unter dem italienischen Schriftsteller Gabriele d´Annunzio.

In der Stadt etablierten sich nach der österreichischen Niederlage im 1. Weltkrieg zwei rivalisierende Verwaltungen: eine italienische und eine des SHS-Königreiches – und beide beanspruchten die Souveränitätsrechte. In der Stadt selbst gab es eine italienische Mehrheit, jedoch das Umland was kroatisch.

Im September 1919 noch während die Pariser Friedensverhandlungen im Gange waren, wurde die Stadt von italienischen Freischärler unter der Führung von Gabriele d´Annunzio besetzt und zum ersten faschistischen „Staat“. Das offizielle Italien blieb zurückhaltend und nur die Faschisten stellten sich hinter d´Annunzio.

1920 wurde Rijeka in einem Vertrag zwischen Italien und dem SHS-Königreich zur Freistadt erklärt. Daraufhin erklärte d´Annunzio den Italiener den Krieg, aber Italien wagte es nicht, gegen den populären Dichter vorzugehen. Die italienische Flotte besetzte im Januar 1921 die Stadt, jedoch die Unruhen dauerten an und im März 1921 kam es zu einem Putsch der lokalen Faschisten.
Rijeka wurde geteilt – die Stadt kam an Italien, die Nachbarstadt Sušak wurde dem SHS-Königreich zugesprochen, der Fluss als Grenze bestimmt und der Hafen wurde gemeinsam verwaltet. Die italienische Armee vertrieb d´Annunzio aus der Stadt, wurde aber 1924 von König Vittorio Emanule III. mit dem erblichen Titel „Fürst von Nevoso“ geadelt, eine späte Anerkennung der Besetzung von Rijeka.

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Fortsetzung folgt ... (siehe unten)

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Herzliche Grüße aus dem (sym)badischen Odenwald,
Konni





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